„Diskursmauern“
Aktuelle Aspekte der sprachlichen Verhältnisse
zwischen Ost- und Westdeutschland
Call zur Tagung der „AG Sprache in der Politik“
2.-4. Oktober 2006
Universität Greifswald
1. Skizze des Themas
Die Untersuchung der unterschiedlichen Tendenzen der deutschen Sprache in Ost und West gehören zu den ‚Klassikern’ der germanistischen Politolinguistik. In den Jahrzehnten der deutschen Zweistaatlichkeit war sie, unter den Etiketten ‚DDR-Deutsch‘ vs. ‚BRD-Deutsch‘ eines der wichtigsten Forschungsfelder, auf dem die noch junge Disziplin ihre Methoden entwickelte und erprobte. Die Perspektive dabei war stets eine varietätenlinguistische und stand im Zeichen der Sorge, es könnten sich zwei mehr oder minder eigenständige Varianten des Deutschen herausbilden und letztlich zu Beeinträchtigungen der Kommunikationsfähigkeit zwischen Ost und West führen. Diese Sorge hat sich als nicht berechtigt erwiesen, zumal angesichts der sprachgeschichtlich betrachtet dann doch deutlich zu kurzen Zeitspanne, die die deutsche Teilung währte. Die Erfahrungen der Menschen unmittelbar nach Wende und Deutscher Einheit sowie ihr Nachvollzug in linguistischen Untersuchungen machten schnell deutlich, dass sich Sonderlexik und –semantik nahezu ausschließlich in bestimmten ideologischen und institutionellen Bereiche herausgebildet hatten, so dass es Verstehensbarrieren in diesem Sinne kaum gab und sie sich, wo überhaupt vorhanden, schnell erledigt hatten. Einer der profiliertesten Linguisten der Ost/West-Sprachforschung kommt deshalb anderthalb Jahrzehnte nach der Wende zu dem Fazit:
„Das Thema, das uns so lange und so intensiv beschäftigt hat – Sprache und Kommunikation in (oder zwischen) Ost und West – hat also, so meine ich, heute nur noch eine sehr geringe aktuelle kommunikative Relevanz (…).“ (Manfred Hellmann, in: Ruth Reiher/Antje Baumann (Hg.): Vorwärts und nichts vergessen. Sprache in der DDR – was war, was ist, was bleibt. Berlin 2004)
Diese Einschätzung dürfte wohl Konsens in der Sprachwissenschaft sein. Allerdings nur unter zwei präzisierenden Voraussetzungen (die Hellmanns Zitat aber auch dezidiert zugrunde liegen):
1. „Erledigt“ hat sich – sprich: ein Gegenstand der Sprachgeschichte geworden ist – nicht eigentlich das Thema „Sprache und Kommunikation zwischen Ost- und Westdeutschen“, sondern das „’DDR-Deutsch’ vs. ‚BRD-Deutsch’“. Dies freilich gilt in eben jenem Maße, wie diese beiden Staaten in ihrer bis 1990 existierenden Form historisch geworden sind.
2. Methodisch unfruchtbar wäre für eine synchrone politolinguistische Untersuchung allein der herkömmliche lexikalisch-semantische Ansatz. Für andere – allen voran den diskurslinguistischen – gilt dies jedoch nicht zwangsläufig.
Zweierlei folgt daraus als Herausforderung an die Politolinguistik, wenn sie ihre Zuständigkeit für Fragen des innerdeutschen Zustands nicht gänzlich aufgeben will: Zum einen hat sie zu würdigen, dass es mittlerweile eine knapp anderthalb Jahrzehnte währende Ost/West-Sprachgeschichte gibt, deren Ereignisse und Wirkungen auch mit politisch-gesellschaftlichen Bedingungen und Ereignissen nach dem 3. Oktober 1990 zu tun haben und keinesfalls unmittelbar und ausschließlich aus dem Hintergrund der deutschen Teilung abzuleiten sind. Zum anderen: Die gesellschaftspolitische Realität unserer Tage ist, kein aufmerksamer Zeitungsleser wird das leugnen wollen, natürlich durchaus noch von einem problematischen Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschland geprägt, das seinerseits selbstverständlich sprachlich-kommunikativ konstruiert ist: in Alltagsdiskursen, mehr aber noch in den Diskursen der Medien und der von ihnen vermittelten Politik. Der Wahlkampfsommer 2005 – mit der Stoiberschen „Ostwähler-Beschimpfung“, den Schöhnbohmschen Thesen zu den Auswirkungen der Proletarisierung Ostdeutschlands zu Zeiten der DDR, der Diskussion um einen „Sonderwahlkampf Ost“ der CDU – hat dies einmal mehr deutlich gemacht. Das jüngste Beispiel schließlich, wie Sprache und sprachliches Handeln Reflex und Konstituente des Ost/West-Gegensatzes und der mit ihm verbundenen Identitätskonzepte ist, lieferte die mediale Reaktion auf die Kür Matthias Platzecks zum, neben Angela Merkel, zweiten ostdeutschen Vorsitzenden einer Volkspartei: „Jetzt regieren uns die Ossis“ (ZEIT, 45/2005, 3.11.2005) – „Merkel und Platzeck – Ossis sind die Bossis“ (BILD, 3.11.2005). Es ist offensichtlich, dass der Linguistik hier nicht die Frage nach lexikalischen Binnendifferenzierungen als Verstehenshemmnisse gestellt ist, sondern vielmehr die nach in Sprache manifestiertem Diskurswissen als Verständnishemmnis. Unter diesen Vorzeichen wiederum steht ein neuer Ansatz zur politolinguistischen Bearbeitung des sprachlichen Ost/West-Problems noch nahezu vollständig aus. Die Tagung will diese Aufgabe näher charakterisieren, die entsprechenden methodischen Gesichtspunkte umreißen, vor allen Dingen aber natürlich bereits wichtige Aspekte des Themas kritisch analysieren. Sie versteht sich damit als ein Beitrag zu einem nicht nur fachlich, sondern vor allen Dingen auch gesellschaftspolitisch höchst drängenden Problem.
2. Mögliche Leitfragen für die Beiträge
Das Spektrum möglicher Gesichtspunkte ist weit, einige mögliche Leitfragen für die Beiträge zur Tagung könnten sein:
- Gibt es Kennzeichen eines ostdeutschen interpersonalen Diskurses und eines westdeutschen? (Redet man „im Osten“ prinzipiell anders als „im Westen“ über bestimmte, etwa politische Ereignisse?)
- Kann man (Stichwort: „Sonderwahlkampf Ost“) bei der indirekt-massenmedialen Kommunikation zwischen Politikern und Bürgern das Vorliegen zweier getrennter Diskurse annehmen? (Versteht man im Osten politische Äußerungen anders als im Westen?)
- Welche Rolle spielen Überdachungsdiskurse (Medien, Bundespolitik)?
- Wie sind aus linguistischer Perspektive ostdeutsche (oder ostdeutsch stilisierte) „Gegendiskurse“ zu interpretieren (von der „Zonenkinder“-Literatur bis hin zur „SuperIllu“)?
- Wie spiegeln sich mediale Diskurse in interpersonalen Diskursen zwischen Ost und West wider?
- Gibt es Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen in bezug auf das (mediale) Gesprächsverhalten?
- In welcher Art und Weise wird „Ostdeutschland“ oder „Ostdeutscher sein“ in öffentlichen Diskursen zum eigenen Gegenstand gemacht (und gibt es gleiche Muster für „Westdeutschland“)?
- Welche Rolle spielen die DDR, bzw. die „alte Bundesrepublik“ als Diskurselemente?
- Lässt sich angesichts der hohen Mobilität gerade in jungen Generationen aus linguistischer Sicht zeigen, inwieweit „ostdeutsch“ und „westdeutsch“ selbst rein diskursiv hergestellte Kategorien sind?
- In welchem Verhältnis stehen Wissen und sprachliche Formate zueinander – bestimmt eher ein aus unterschiedlichen Erfahrungen gespeistes Alltagswissen in Ost und West verschiedene Diskurse oder bestimmen mehr diese Diskurse die subjektive Wahrnehmung dessen, was den Menschen widerfährt?
- Kann man, in Weiterführung des Düsseldorfer Ansatzes, so etwas wie „kontroverse Begriffe Ost vs. West“ annehmen und auf den einzelnen Ebenen vom Ausdruck/Begriff über die Metapher bis hin zum Argument/Topos nachweisen?
3. Organisation
Die Tagung findet rund um den „Tag der Deutschen Einheit“ vom 2. Oktober 2006 (nachmittags) bis zum 4. Oktober 2006 (mittags) am Institut für Deutsche Philologie der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald statt. Ansprechpartner in allen organisatorischen Fragen ist:
Dr. Kersten Sven Roth
Institut für deutsche Philologie
Universität Greifswald
Rubenowstraße 3
17487 Greifswald
Tel.: 03834 / 863404
ksroth@uni-greifswald.de
Vorschläge für einen der dreißigminütigen Vorträge (max. eine DIN A 4-Seite) werden bis zum 30. März 2006 erbeten an: ksroth@uni-greifswald.de
Eine Anmeldung zur Tagung ohne eigenen Vortrag wird – an die gleiche Adresse – erbeten bis zum 30. Juni 2006.
Die Tagungsgebühr beträgt 20 EUR.
Weitere Informationen zum Organisatorischen und zu Unterkunftsmöglichkeiten in Greifswald werden den Teilnehmern nach der Anmeldung noch zur Verfügung gestellt.