Ankündigung: Ost-West-Konflikte.
Interdisziplinäre Perspektiven auf den Diskurs über Deutschland und die Welt
Tagung der AG Sprache in der Politik
Magdeburg, 22.-23. März 2023
Die sprachlichen Verhältnisse zwischen Ost- und Westdeutschland waren in den Zeiten der
staatlichen Teilung seit 1949 einer der bedeutendsten Gegenstände, die die Entstehung einer
germanistischen Politikspracheforschung vorangetrieben haben. Die Ereignisse der Jahre
1989/90 sorgten noch einmal für einen Höhepunkt dieser Forschung, danach verschwand das
Thema weitgehend von der Agenda des Fachs. So wie große Teile der (v.a. west-)deutschen
Gesellschaft betrachtete wohl auch die linguistische Community Differenzen zwischen dem
Osten und Westen Deutschlands als weitgehend überwunden. 2006 hat sich die AG „Sprache
in der Politik“ noch einmal dem Thema gewidmet, in Form der Greifswalder Tagung zu den
„Diskursmauern“ (vgl. Roth/Wienen 2008), die als letzte größere Bestandsaufnahme zum
Thema gelten mag.
Auf den ersten Blick hat sich im Diskurs über den Osten und den Westen seitdem wenig
verändert. Bestimmte Diskursmuster wie die „topische Treppe“ (vgl. u.a. Roth 2008), die den
Osten stets als das Exotische, das Defizitäre und das Belastende konzeptualisiert, halten sich
in der medialen Auseinandersetzung mit dem Gegenstand hartnäckig. Andererseits gibt es
natürlich sehr wohl Faktoren, die den politischen Diskurs und so auch den zum speziellen
Thema verändert haben: Der herkömmliche massenmediale Diskursaum generell wurde im
letzten Jahrzehnt in großem Umfang und mit neuer Qualität ergänzt durch die Kommunikation
in den „Sozialen Medien“, und auch die vereinzelte aktuellere Forschung zum Ost-West-
Diskurs hat sich mit dessen Besonderheiten im Rahmen dieser „Neuen Öffentlichkeiten“
befasst (vgl. u.a. Pappert/Roth 2019). Darüber hinaus hat sich mit der rechtspopulistischen
AfD eine Partei im politischen System der Bundesrepublik Deutschland etabliert, die – obwohl
in nahezu allen deutschen Parlamenten vertreten – im Diskurs oft als vor allen Dingen
ostdeutsches Phänomen wahrgenommen wird, von dem mit gutem Grund angenommen
werden kann, dass es tatsächlich im Osten nicht zuletzt kommunikativ anders funktioniert als
im Westen (vgl. Pappert/Roth 2021; Kanz 2021).
Solche veränderten Rahmenbedingungen nimmt die Tagung der AG „Sprache in der Politik“
zum Anlass, sich nach über anderthalb Jahrzehnten einmal wieder dem Ost-West-Diskurs zu
widmen. Sie versteht ihn dabei als Querschnittsdiskurs, der auch dort grundsätzlich präsent
ist, wo es vordergründig um andere Themen geht (etwa um die Folgen von Corona oder den
in Ost- und Westdeutschland offenbar als unterschiedlich dringlich empfundenen Kampf
gegen den menschengemachten Klimawandel).
Dabei wird aber im Vergleich zu früheren Auseinandersetzungen der linguistischen
Gesellschaftsforschung mit diesem Diskurs ein in zweierlei Hinsicht neuer Ansatz gewählt:
Zum einen soll einer Tatsache Rechnung getragen werden, die nicht erst mit dem Krieg in der
Ukraine, sondern im Grunde auch schon mit den unterschiedlichen Entwicklungen
demokratischer Systeme in West- und Mittelosteuropa in den letzten Jahren deutlich
geworden ist: Diskursive Unterschiede zwischen Ost und West in Deutschland müssen, will
man sie in ihren Grundlagen verstehen, auch vor dem Hintergrund eines zwar lange Zeit
weniger offensichtlichen, aber dennoch nicht überwundenen globalen Ost-West-Konflikts
interpretiert werden. Bestimmte diskursive Konflikte, die in der Folge des Zusammenbruchs
der UdSSR im globalen und der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands im nationalen
Rahmen nur latent wirksam waren, werden vermutlich gerade erst evident und sollen
ebenfalls Gegenstand der Tagung sein.
Zum zweiten gilt die Ost-West-Blindheit, die die Politikspracheforschung in den letzten
Jahrzehnten geprägt hat, offenbar nicht im selben Maße für die verwandten
Sozialwissenschaften und möglicherweise auch nicht für die Literaturwissenschaften. Die
Tagung wird sich dem Thema deshalb interdisziplinär widmen und, wenn auch mit klarem
Fokus auf Aspekten von Sprache und Kommunikation im weiteren Sinne, darauf zielen, die
linguistische Gesellschaftsforschung mit Perspektiven der Soziologie, Politik- und Mediensowie
Literaturwissenschaft in Austausch zu bringen.
Mögliche Fragestellungen sind unter anderem:
- Wie werden „der Osten“ und „der Westen“ im öffentlichen Diskurs konstruiert?
- Wie wird die angenommene Differenz zwischen Ost- und Westdeutschland politisch
instrumentalisiert, verstärkt oder auch strategisch geleugnet? - Welche kollektiven Deutungsmuster für die Verhältnisse zwischen Ost und West haben
sich (etwa im Zuge einer ritualisierten Gedenkpraxis rund um den 9. November und
den 3. Oktober) entwickelt? - Wie sind die Diskurse über die ehemalige DDR und über „den Osten“ seit 1990
miteinander verschränkt? - Welche neuen Facetten des Diskurses lassen sich in den „Neuen Öffentlichkeiten“ der
digitalen Medien beschreiben? - Verändern äußere Ereignisse wie etwa die großen Industrieansiedlungen im Osten
(Tesla, INTEL) den Diskurs? - Welchen Beitrag zum Ost-West-Diskurs leisten literarische Texte und inwieweit
spiegeln sie Diskursverschiebungen oder -entwicklungen wider? - In welchem Verhältnis steht die aktuelle öffentliche Kommunikation über globale
Herausforderung (z.B. den Umgang mit dem Krieg in der Ukraine) zu historischen
Deutungsmustern des „Ost-West-Konflikts“? - Wo können diskursive Unterschiede zu verschiedenen politischen Themen zwischen
Ost- und Westdeutschland aus Diskursmustern aus den nationalen oder globalen
Verhältnissen vor 1990 erklärt werden?
Abstracts (ca. eine DIN-A-4-Seite) für einen 25-minütigen Vortrag werden bis spätestens
31.7.2022 erbeten an kersten.roth@ovgu.de.
Kanz, Vanessa (2021): AfD Ost und AfD West? Zur Rezipientenausrichtung der Partei auf Facebook. In:
Aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur. H.3/2021, Themenheft Wahlkampfsprache
2021, hrsg. von David Römer und Martin Wengeler, S. 345-367.
Pappert, Steffen / Roth, Kersten Sven (2019): Digitale Öffentlichkeiten und ihre sprachlich-interaktionale
Manifestationen am Beispiel von Kommentarforen. In: Liedtke, Frank / Steen, Pamela (Hrsg.):
Diskurs der digitalen Daten. Qualitative Zugänge zu einem quantitativen Phänomen. Berlin,
Boston, S. 223-252.
Pappert, Steffen / Roth, Kersten Sven (2021): Überlegungen zu einer pragmalinguistischen Modellierung
von Populismus – am Beispiel des innerdeutschen Diskurses. In: Pappert, Steffen / Schlicht,
Corinna / Schröter, Melani / Hermes, Stefan (Hrsg.): Skandalisieren, stereotypisieren,
normalisieren. Diskurspratiken der Neuen Rechten aus sprach- und literaturwissenschaftlicher
Perspektive. Hamburg, S. 9-28.
Roth, Kersten Sven / Wienen, Markus (Hrsg.) (2008): Diskursmauern. Aktuelle Aspekte der sprachlichen
Verhältnisse zwischen Ost und West. Bremen.
Roth, Kersten Sven (2008): Der Westen als ‚Normal Null‘. Zur Diskurssemantik von ‚ostdeutsch*‘ und
‚westdeutsch*‘. In: Roth, Kersten Sven / Wienen, Markus (Hrsg.) 2008, S. 69-89.
Call for Papers
Ankündigung: Aktuelle politolinguistische Forschung: Nachwuchskolloquium der AG Sprache in der Politik
Freitag, 7. Oktober 2022; Eröffnung am 6. Oktober 2022 um 18:30 Uhr
Philipps-Universität Marburg, Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas
Die Arbeitsgemeinschaft Sprache in der Politik ist eine Vereinigung von Wissenschaftler:innen, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Entwicklungstendenzen in der politischen Sprache aufzuzeigen, zu analysieren und kritisch zu begleiten. Zugleich dient sie als Forum für interdisziplinäre Diskussionen und Kooperationen zwischen Wissenschaftler:innen verschiedener Disziplinen, deren Forschungsgegenstand die politische Sprache ist.
Zu ihren Aufgaben zählt die Arbeitsgemeinschaft ebenso, Forum und Netzwerk für Nachwuchswissenschaftler:innen zu sein. Dies kam bisher vor allen Dingen in Nachwuchsworkshops zum Ausdruck, die begleitend zu den regulären Tagungen stattgefunden haben.
Fortan soll die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses einen eigenen Raum und Rahmen erhalten: Die AG etabliert ein eigenständiges Kolloquiums-Format, das regelmäßig im Zwei-Jahres-Turnus, abwechselnd zu den Themen-Tagungen, stattfinden soll.
Zielgruppe sind Doktorand:innen, die eine Dissertation im Themenbereich Politolinguistik verfassen bzw. deren Forschungsgegenstand auch in benachbarten Disziplinen die politische Sprache und Kommunikation darstellt. Die Teilnehmenden haben die Möglichkeit, ihre eigenen Forschungsprojekte und -methoden vorzustellen, sich darüber fachlich auszutauschen und sich zu vernetzen. Begleitet wird der Workshop von den Vorstandsmitgliedern der AG sowie von externen Expert:innen, die entsprechend der eingereichten und ausgewählten Projekte eingeladen werden, um einen breiten und auch interdisziplinären Austausch zu ermöglichen. Damit bietet sich die Gelegenheit, nicht nur wichtige Impulse für die eigene Forschung zu erhalten, sondern diese auch in der einschlägigen Fachcommunity bekannt zu machen.
Neben den Vorträgen, die jeweils von einer anschließenden Diskussion gerahmt werden, findet eine Postersession statt, in der weitere Projekte vorgestellt und diskutiert werden.
Die Reise- und Übernachtungskosten der vortragenden Doktorand:innen werden von der AG übernommen. Selbstverständlich sind Interessierte auch darüber hinaus herzlich willkommen!
Für Fragen stehen die Organisatorinnen Hanna Völker (Universität Marburg, hanna.voelker@uni-marburg.de) und Vanessa Kanz (Universität Magdeburg, vanessa1.kanz@ovgu.de) gerne zur Verfügung.
Anmeldung
Interessierte werden gebeten, sich bis zum 09.09.2022 per E-Mail zur Veranstaltung anzumelden: hanna.voelker@uni-marburg.de